Netzentwicklung in der Schweiz
Die schrittweise in Kraft getretenen Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Um- und Ausbau der Stromnetze («Strategie Stromnetze») regeln seit 2021 den Netzentwicklungsprozess in der Schweiz.
Netzentwicklungsprozess: Der Prozess von der Planung über die Projektierung bis zur Realisierung der Netzprojekte
Planungsphase
In der Planungsphase des Netzentwicklungsprozesses entwirft das BFE einen energiewirtschaftlichen Szenariorahmen Schweiz. Er wird vom Bundesrat genehmigt und dient künftig als Grundlage für die Planung der schweizerischen Stromnetze – mit dem Ziel, die Stromnetze möglichst optimal auf die künftigen energiewirtschaftlichen Entwicklungen in der Schweiz auszurichten. Der Szenariorahmen beinhaltet drei Szenarien, welche die Bandbreite möglicher energiewirtschaftlicher Entwicklungen abbilden.
Auf Basis dieses Szenariorahmens ermittelt Swissgrid den Bedarf für Anpassungen am Übertragungsnetz. Diese werden als «Strategisches Netz» in einem Mehrjahresplan dokumentiert. Die Ausbauplanung der Hochspannungsnetze der Verteilnetzbetreiber basiert ebenfalls auf dem Szenariorahmen. Die Planungsphase wiederholt sich alle vier Jahre, wodurch die Hochspannungsnetze (Verteilnetzebene) und die Höchstspannungsnetze (Übertragungsnetz) in gegenseitiger Abstimmung parallel stetig an sich verändernde Rahmenbedingungen angepasst werden können.
Projektierungsphase
In der Projektierungsphase entwickelt Swissgrid konkrete Projekte, die den im Strategischen Netz festgestellten Bedarf abdecken. Jedes Projekt durchläuft im Normalfall sowohl ein nationales Sachplanverfahren für Übertragungsleitungen (SÜL) beim BFE als auch ein Plangenehmigungsverfahren beim Eidgenössischen Starkstrominspektorat ESTI. In dieser Phase fallen auch die Entscheide zur verwendeten Übertragungstechnologie (Freileitung, Kabel, Kombinationen) und Trassenführung.
Realisierungsphase
Sobald alle erforderlichen Genehmigungen vorliegen, startet Swissgrid in der Realisierungsphase mit dem Bau der jeweiligen Projekte. Nach Inbetriebnahme der Anlagen überprüft Swissgrid zudem, ob die im Strategischen Netz angenommenen Kosten der Projekte und deren erwarteter Nutzen der Realität entsprechen und was mögliche Gründe für Abweichungen sind. Die Erkenntnisse aus diesen Analysen fliessen in den wiederkehrenden Planungsprozess ein.
Grundsätze der langfristigen Netzplanung
Die Leitplanken für den Planungsprozess des Netzes der Zukunft
Swissgrid ist die Planung eines Netzes wichtig, das nachhaltig, ressourcenschonend, umweltverträglich und volkswirtschaftlich effizient ist. Das Übertragungsnetz der Zukunft soll im Betrieb stabil und sicher sein. Der Netzausbau erfolgt nicht auf Vorrat, sondern auf Basis von nachvollziehbaren und transparenten Abwägungen. Deshalb orientiert sich Swissgrid bei der Erstellung des Strategischen Netzes an folgenden zentralen Grundsätzen:
1. Umweltbeeinflussungen minimieren
Swissgrid baut das Netz nicht auf Vorrat aus. Das bestehende Netz wird möglichst effizient betrieben. Wo immer möglich optimiert Swissgrid zuerst das bestehende Netz und verstärkt dieses bei Bedarf. Dauerhaft nicht benötigte Leitungen und Unterwerke werden nach Möglichkeit zurückgebaut. Sofern eine neue Leitung benötigt wird, berücksichtigt Swissgrid bei der Suche nach dem besten Leitungskorridor und bei der Wahl der Übertragungstechnologie (Freileitung oder Verkabelung) die Auswirkungen auf Raum und Umwelt, genauso wie technische Aspekte und die Wirtschaftlichkeit.
Die Bündelung von Übertragungs- und Verteilnetzleitungen mit Nationalstrassen und Eisenbahnstrecken reduziert dabei die Anzahl paralleler Trassees. Im Strategischen Netz wird der Ausbaubedarf zwischen sogenannten Netzknoten ermittelt. Der Leitungskorridor und die Übertragungstechnologie werden erst im Rahmen der später folgenden «Räumlichen Koordination (Nationales Sachplanverfahren)» vom Bund definitiv festgelegt.
2. Zukünftige Netzengpässe vermeiden
Swissgrid identifiziert Netzelemente, bei welchen es zukünftig immer wieder zu Engpässen kommen könnte. Dazu stützt sich Swissgrid auf Erkenntnisse aus dem aktuellen Netzbetrieb sowie auf eine Netzsimulation des analysierten Zieljahres. Bestehende und zukünftige Engpässe werden durch Netzoptimierung, Netzverstärkung und Netzausbau behoben.
3. Dynamische Netzstabilität gewährleisten
Der Rückbau von Grosskraftwerken in ganz Europa reduziert die rotierende Masse am Übertragungsnetz. Die Massenträgheit der grossen Generatoren, wie sie zum Beispiel in Kern- oder Kohlekraftwerken vorkommen, stabilisiert heute noch die Frequenz des Stromnetzes. Swissgrid und die ausländischen Übertragungsnetzbetreiber prüfen in Stresstests, ob in Zukunft die Netzstabilität noch gewährleistet ist oder ob im Rahmen der Netzplanung Massnahmen ergriffen werden müssen.
4. Flexibilität von Speichern, Erzeugern und Verbrauchern berücksichtigen
Flexibilitätspotenziale dank künstlicher Intelligenz, dezentraler Verbrauchssteuerung und smartem Peak Shaving bei Photovoltaik- und Windproduktion kann Swissgrid nur dann bei der Netzplanung berücksichtigen, wenn diese jederzeit durch Swissgrid aktivier- und nutzbar ist. Hierfür müssen regulatorische Rahmenbedingungen geschaffen, Produkte entwickelt, technische Voraussetzungen geschaffen und Verträge abgeschlossen werden, was heute noch nicht ausreichend der Fall ist.
5. Positives Kosten-Nutzen-Verhältnis sicherstellen
Für jedes Netzprojekt, dessen Kosten über CHF 1,0 Mio. liegen, führt Swissgrid einen einheitlichen Kosten-Nutzen-Vergleich durch und dokumentiert diesen. Der Nutzen eines Netzprojekts wird für verschiedene Kriterien entweder monetär, quantitativ oder qualitativ ausgewiesen.
6. Transparent kommunizieren und mit relevanten Stakeholdern koordinieren
Swissgrid koordiniert die langfristige Netzplanung mit allen relevanten Stakeholdergruppen. Dazu gehören beispielsweise die Übertragungsnetzbetreiber der Nachbarländer, die am Schweizer Übertragungsnetz angeschlossenen Verteilnetz- und Kraftwerksbetreiber sowie das Bundesamt für Energie (BFE) und die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom). Das Vorgehen und die Resultate des Strategischen Netzes kommuniziert Swissgrid transparent und nachvollziehbar.
Strategisches Netz
Das Strategische Netz bezeichnet den koordinierten Prozess zur Langfristentwicklung des Schweizer Übertragungsnetzes. Es beschreibt und begründet den festgestellten Netzentwicklungsbedarf für ein bestimmtes Zieljahr. Mit dem Strategischen Netz 2040 ist dieser Prozess zum dritten Mal erfolgt. Zum ersten Mal basiert dieser auf der in der «Strategie Stromnetze» geschaffenen gesetzlichen Grundlage. Gemäss dieser Grundlage muss die Aktualisierung dieses Mehrjahresplans für die langfristige Netzplanung alle vier Jahre vergleichbar wiederholt werden
Die Planung des Strategischen Netzes basiert auf dem Szenariorahmen Schweiz, der vom Bundesamts für Energie (BFE) erstellt wird, sowie den darin zugewiesenen ENTSO-Szenarien. Sie sind die wesentlichen Eingangsgrössen für den Netzplanungsprozess. Der Szenariorahmen Schweiz beinhaltet für jede Erzeugungstechnologie und jede Verbrauchergruppen für die Zieljahre nationale Zielwerte. Zusätzlich erhält Swissgrid von den SBB sowie den Verteilnetz- und Kraftwerksbetreibern, die direkt am Übertragungsnetz angeschlossen sind, Informationen zur regionalen Entwicklung von Produktion und Verbrauch innerhalb der Schweiz. Die Verteilnetzbetreiber (VNB) der Netzebene 3 haben zusammen mit Swissgrid in diesem Regionalisierungsprozess definiert, wie die Vorgaben zu Produktion und Verbrauch aus dem Szenariorahmen auf die einzelnen Netzknoten, also Anschlusspunkte an das Übertragungsnetz, herunterzubrechen sind.
Die Bildung des Strategischen Netzes durch Swissgrid erfolgt in drei Schritten
Bildung Referenznetz
Mithilfe von Markt- und Netzsimulationen wird das sogenannte Referenznetz gebildet. Dies geschieht, indem zum Startnetz neue Netzprojekte so lange hinzugefügt werden, bis es in den verschiedenen Szenarien keine relevanten Netzengpässe mehr gibt. Der hierdurch erkannte Netzausbaubedarf wird mit den am Übertragungsnetz angeschlossenen VNB und ausländischen Übertragungsnetzbetreibern koordiniert, damit eine abgestimmte Planung des gesamten Stromnetzes erfolgt.
- Die Marktsimulation liefert als Resultat den stündlichen Kraftwerkseinsatz pro Gebotszone (ein Land kann aus einer oder mehreren Gebotszonen bestehen) und den resultierenden grenzüberschreitenden Stromaustausch. Die Zielfunktion ist die Deckung der Last in jeder Gebotszone, zu minimalen Erzeugungskosten unter Berücksichtigung der maximalen Grenzkapazität zwischen den Gebotszonen. Die Ergebnisse pro Gebotszone aus der Marktsimulation werden mithilfe des sogenannten Mappings auf die Knoten des europäischen Netzmodells aufgeteilt. Hierdurch sind die stündliche Erzeugung und der Verbrauch pro Netzknoten als Eingangsgrössen für die Netzsimulation bekannt.
- Für jedes Szenario werden mit dem europäischen Netzmodell Netzsimulationen gerechnet und allfällige Engpässe (n-1 / Spannungsverletzungen) erkannt. Daraus wird die Auslastung der Netzelemente pro Szenario erstellt, und es wird deutlich, an welchen Stellen noch Netzausbaubedarf besteht. Bei der Netzertüchtigung wird stets das NOVA-Prinzip angewandt. Das NOVA-Prinzip steht für Netzoptimierung vor Netzverstärkung vor Netzausbau. Es zielt darauf ab, die Umwelt- und Landschaftseinflüsse durch den Netzausbau so gering wie möglich zu halten
Bildung Zielnetz
Nach Finalisierung des Referenznetzes folgt die Bildung des Zielnetzes. Mithilfe der Kosten-Nutzen-Analyse werden alle zusätzlichen Netzprojekte im Referenznetz bewertet. Die Bewertung jeder einzelnen Netzerweiterungsmassnahme erfolgt sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus Umwelt- sowie technischer Perspektive und dient als Bedarfsnachweis. Prinzipiell werden nur die Projekte Teil des Zielnetzes, bei denen der Nutzen überwiegt.
Die Gesamtheit der zusätzlichen Netzprojekte im Zielnetz im Vergleich zum Startnetz ist das Strategische Netz.
Das Zielnetz wird in der Folge diversen Stresstests (z.B. Mehrfachausfälle, Spannungsanalysen, extremen Lastflusssituationen etc.) unterzogen. Idealerweise zeigen die Stresstests, dass das Zielnetz robust in den analysierten Extremsituationen ist. Sollte diese nicht der Fall sein, muss analysiert werden, welche allfälligen zusätzlichen Massnahmen notwendig sind.