Höchstspannungsnetz

«Mir war früh klar, dass ich mich dem technischen Bereich widmen wollte»

Interview mit Asja Derviškadić, Grid Studies Engineer bei Swissgrid

Autorin: Stephanie Bos


Das Schweizer Stromnetz endet nicht an den Landesgrenzen, sondern ist über tausende Kilometer mit den Netzen Europas verbunden. Die Stabilität dieses Systems sicherzustellen und eine lückenlose Stromversorgung zu gewährleisten, ist eine anspruchsvolle Aufgabe – die künftig noch komplexer wird. Asja Derviškadić, Grid Studies Engineer bei Swissgrid erzählt im Interview, welchen Teil sie in ihrer Funktion dazu beiträgt und wie sie das Arbeiten bei Swissgrid als Ingenieurin erlebt.


Im Interview

Asja Derviškadić, wir alle verbrauchen tagtäglich Strom. Wofür benötigen Sie in Ihrem persönlichen Alltag am meisten elektrische Energie?
Am meisten Strom verbrauche ich durch meine Internetnutzung. Ich bin täglich online und verwende digitale Tools und Onlineservices in praktisch allen Bereichen meines Lebens: bei der Arbeit, zur Unterhaltung und zur Kommunikation mit meiner Familie. Ein Leben ohne diese Konnektivität wäre für mich äusserst schwierig.

Sie beschäftigen sich auch beruflich mit elektrischer Energie: Sie sind als «Grid Studies Engineer» für Swissgrid tätig. Welche Aufgaben umfasst dieser Beruf?
Swissgrid betreibt das sogenannte «Übertragungsnetz» der Schweiz. Dieses Höchstspannungsnetz ist rund 6700 Kilometer lang und bildet das Rückgrat unserer sicheren Stromversorgung. Es handelt sich um ein hochgradig komplexes System, welches reibungslos funktionierende Infrastrukturen, permanentes Management der Stromflüsse sowie eine enge Zusammenarbeit mit unseren nationalen und internationalen Partnerunternehmen voraussetzt – und zwar rund um die Uhr. Denn das Übertragungsnetz funktioniert nur dann, wenn Produktion und Verbrauch von Strom im Gleichgewicht sind. Unsere Operateurinnen und Operateure überwachen das Schweizer Übertragungsnetz und ergreifen die entsprechenden Massnahmen, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Dies tun sie auf Basis verschiedener Modelle. Und hier kommen mein Team und ich ins Spiel. Wir erarbeiten Modelle und -Simulationen des Netzes für einen kurzfristigen, aber auch längerfristigen Zeithorizont. Dafür nutzen wir modernste technische Mittel, um Studien und Kalkulationen durchzuführen, aus denen wir anschliessend digitale Modelle für das Übertragungsnetz ableiten können. Dabei steht die Beantwortung von Fragen im Fokus wie: Wie wird sich das Höchstspannungsnetz in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten verhalten? Ist die Versorgungssicherheit gewährleistet? Und was würde geschehen, wenn eine oder mehrere essenzielle Anlagen im System ausfielen? Die von uns erarbeiteten Modelle und Simulationen dienen dann den Operateurinnen und Operateuren als Entscheidungsgrundlage und Werkzeug, um die Netzstabilität zu gewährleisten.

Höchstspannungsnetz
Das Schweizer Höchstspannungsnetz funktioniert nur, wenn Produktion und Verbrauch im Gleichgewicht sind

Die Nachfrage nach Elektrizität steigt. Welches sind die grossen Herausforderungen und Themen, die Sie heute und morgen beschäftigen werden?
Das Stromnetz der Schweiz ist heute massiv komplexer als noch zu seinen Anfangszeiten. Zudem ist es untrennbar mit den Netzen der anderen Länder Zentraleuropas verbunden: Wir sind heute Teil eines Stromproduktions- und Distributionssystems, das sich von Süditalien bis Dänemark und von Portugal bis in die Türkei erstreckt. Demensprechend setzt ein reibungsloser Betrieb einen enormen Kommunikations- und Koordinationsaufwand voraus. Die bisherigen Prozesse haben sich bewährt, sind aber bereits heute komplex und werden in den kommenden Jahren noch anspruchsvoller. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass wir bei Swissgrid zwar das Schweizer Stromnetz im Höchstspannungsebene verantworten, die Distribution der Energie in die Niederspannungsnetze und Haushalte aber von anderen Akteuren übernommen wird. Wir arbeiten bereits heute sehr eng mit den Partnern der unteren Netzebenen zusammen. Diese gute Zusammenarbeit wird in Zukunft noch wichtiger werden. Dies umso mehr, da dezentralisierte Stromproduktion und -lieferung neue Anforderungen an das Netz stellen. Wir agieren also in einem sich kontinuierlich weiterentwickelnden System und müssen innerhalb dieses dynamischen Umfelds jederzeit Stabilität gewährleisten. Wir begegnen diesen Herausforderungen einerseits mit unserer Expertise und Erfahrung sowie andererseits mit neuen datenbasierten Lösungen.

Sie haben an der Universität La Sapienza in Rom Ihren Master als Elektroingenieurin absolviert und dann am EPFL ihren Doktorinnentitel (Ph.D.) erlangt. Was veranlasste Sie dazu, diesen Karriereweg einzuschlagen?
Ich hegte schon immer eine grosse Leidenschaft für das Ingenieurwesen sowie das Thema Elektrizität. Meine Eltern sind beide Ingenieure; mein Vater arbeitete im Energiebereich und meine Mutter in der IT. Auch mein älterer Bruder ist als Ingenieur tätig. Doch keiner von ihnen verfügt über einen Ph.D. (lacht). Wie Sie sehen, hatte ich das Glück, in einem Umfeld aufzuwachsen, in dem Technik sowie Technologie positiv besetzt sind und ich Vorbilder hatte, zu denen ich aufschauen konnte. Mir war daher früh klar, dass auch ich mich dem Ingenieurwesen widmen wollte. Zudem wollte ich eine Karriere einschlagen, mit der ich zur Lösung der Klima-Herausforderungen beitragen konnte.

Menschen aus allen Kulturen und Backgrounds kommen bei Swissgrid zusammen, um gemeinsam an neuen Lösungen und Ideen zu arbeiten.

Asja Derviškadić, Swissgrid

 
Wie erleben Sie das Arbeiten bei Swissgrid?
Meine Eindrücke sind extrem positiv. Ich bin seit Oktober 2020 bei Swissgrid tätig und konnte es davor kaum erwarten, mein erworbenes Fachwissen praktisch umzusetzen. Das kann ich hier bei Swissgrid tun, was mich enorm motiviert und mit Stolz erfüllt. Zudem schätze ich die Zusammenarbeit sowie den Austausch mit meinen Mitarbeitenden sowie Teamkameradinnen und Teamkameraden. Ein weiterer Pluspunkt ist die internationale und interdisziplinäre Kultur des Unternehmens: Menschen aus allen Kulturen und Backgrounds kommen hier zusammen, um gemeinsam an neuen Lösungen und Ideen zu arbeiten. Die Diversität ist sehr hoch. In meinem Team beispielsweise sind von sieben Personen nur zwei gebürtige Schweizerinnen und Schweizer. Wir verfügen also über einen spannenden Mix, der meines Erachtens die Innovationskraft fördert. Und zu guter Letzt gefällt mir die enge Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen sowie den erstklassigen Bildungsinstitutionen der Schweiz sehr gut.

Swissgrid Control
In der Netzleitstelle überwachen die Swissgrid Operateurinnen und Operateure das Höchstspannungsnetz

Sie haben die kulturelle Diversität angesprochen. Gleichzeitig ist gerade der Frauenanteil in technischen Branchen nach wie vor eher gering. Wie erleben Sie das in Ihrer täglichen Arbeit – und worauf ist dieser Umstand zurückzuführen?
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass Frauen noch immer schmerzlich untervertreten sind in technischen Berufen. Ich erachte es daher als essenziell, dass wir den gesellschaftlichen Diskurs dazu führen, die Gründe dieses Missstands eruieren und gemeinsam Lösungsansätze finden. Ich selbst hatte wie bereits erwähnt das Glück, mit starken Vorbildern aufzuwachsen. Ich schaute auf zu meiner Mutter, die sich als Ingenieurin hervortat. Mir wurde niemals das Gefühl vermittelt, Technologie sei nur «etwas für Jungs». Wie verbreitet diese Ansicht aber dennoch ist, realisierte ich, als ich an die Universität kam. Ich war eine von zwei Frauen meines Jahrgangs, während gleichzeitig 60 Männer ihr Studium mit mir bestritten.

Einen zentralen Faktor stellen weibliche Vorbilder dar. Wir brauchen mehr Ingenieurinnen in Führungspositionen.

Asja Derviškadić, Swissgrid

 
Was können und müssen Wirtschaft und Gesellschaft Ihres Erachtens tun, um mehr Frauen für technische Branchen zu begeistern?
Einen zentralen Faktor stellen weibliche Vorbilder dar. Wir brauchen mehr Ingenieurinnen in Führungspositionen. Unternehmen stehen also in der Verantwortung, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, dass mehr gutausgebildete Frauen diese Führungsfunktion wahrnehmen können. Als Gesellschaft sind wir wiederum gefordert, das Stigma «Technik ist nur für Buben» endlich hinter uns zu lassen. Das Erlangen eines Ph.D. war für mich nicht nur die Belohnung harter Arbeit, sondern auch eine Art Schutzschild.

Als Schutzschild?
Ja, denn leider muss man als Frau in vielen Situation zusätzlich beweisen, dass man kompetent ist. Der Ph.D. unterstreicht meine Kompetenzen und beugt allfälligen Diskussionen vor. Das sollte nicht notwendig sein. Wenn wir auf wirtschaftlicher, persönlicher sowie gesellschaftlicher Ebene tätig werden, bin ich absolut davon überzeugt, dass wir mehr Frauen in technischen Berufen und Führungspositionen sehen werden. Das ist nicht nur aus Gründen der Fairness und Gleichberechtigung wichtig, sondern auch, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, der die technischen Branchen besonders betrifft. Bei Swissgrid habe ich in diesem Kontext glücklicherweise ein sehr positives Umfeld vorgefunden.



Autorin

Stephanie Bos
Stephanie Bos

Communication Manager


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