
In acht der letzten zehn Winter reichte die inländische Produktion nicht aus, um den Strombedarf zu decken. Das verdeutlicht, dass die Schweiz in den Wintermonaten in aller Regel auf Stromimporte angewiesen ist. Derweil produzieren die Photovoltaikanlagen an sonnigen Sommertagen so viel Strom, dass der Alltagsverbrauch nicht ausreicht. An solchen Tagen verwenden die Kraftwerksbetreiber den Strom oft, um Wasser in höher gelegene Speicherseen zu pumpen. Dennoch bleibt in der Regel ein Überschuss, der ins Ausland exportiert wird.
Steigende Stromüberschüsse im Sommer
Mit dem raschen Zubau der Photovoltaik-Produktion sind die Sommerüberschüsse bereits seit einigen Jahren signifikant und werden immer grösser. Das verdeutlicht das Jahr 2024 mit vielen Sonnentagen im Sommer und mit einer Stromproduktion an den Spitzentagen, die doppelt so hoch war wie der Landesverbrauch. Gut möglich, dass sich diese Tendenz mit den durch den Klimawandel wachsenden Temperaturen noch verstärken wird. Allerdings gilt es parallel dazu auch den stetig wachsenden Energiebedarf infolge der Elektrifizierung der Gesellschaft im Auge zu behalten, weswegen eine genaue Prognose schwierig ist.
Ecoplan-Studie zur Bedeutung des Stromaustauschs
Um die volkswirtschaftliche Bedeutung des Stromaustauschs aufzuzeigen, hat der Bundesrat beim Forschungs- und Beratungsunternehmen Ecoplan eine Studie in Auftrag gegeben. Die Studie fokussiert unter anderem darauf, wie viel Strom die Schweiz mit und ohne Stromabkommen mit der EU importieren und exportieren kann. Eine zentrale Grösse sind die sogenannten Grenzkapazitäten – dabei handelt es sich um die Menge Strom, die wir mit unseren Nachbarländern austauschen können. Das Szenario mit Stromabkommen heisst in der Studie «Marktkopplung», weil in diesem Fall die Märkte und die Grenzkapazitäten der Schweiz und der EU komplett gekoppelt wären. Das Szenario ohne Stromabkommen heisst sinnesgemäss «keine Kooperation».
70 Prozent für den Stromhandel
Die Länder der EU haben beschlossen, dass jederzeit 70 Prozent der Kapazität ihrer Höchstspannungsnetze für den grenzüberschreitenden Stromhandel im innereuropäischen Markt reserviert sein muss. Dies deshalb, weil der Strom heute oft nicht dort produziert wird, wo er auch gebraucht wird. Europa hat grosse Windfarmen im Norden, viel PV-Leistung im Süden, dazwischen produziert Frankreich viel Strom aus der Kernkraft. Um diesen Strommix effizient handeln zu können, braucht es entsprechende Kapazität auf den Leitungen – deshalb die 70-Prozent-Regel.
Weil die Schweiz kein EU-Land ist, würde diese 70-Prozent-Regel ohne Stromabkommen für die Schweiz nicht gelten. Das heisst, unsere EU-Nachbarländer könnten die Grenzkapazitäten mit der Schweiz nach eigenem Ermessen beschränken. Zum Beispiel dann, wenn sie zusätzliche Kapazitäten brauchen, um die vorgeschriebene Kapazität innerhalb der EU einzuhalten.
Massive Einschränkungen ohne Stromabkommen mit der EU
Gemäss der Ecoplan-Studie würde die EU die Kapazitäten an der Schweizer Grenze ohne Stromabkommen massiv einschränken. Die Schweiz könnte den überschüssigen Strom also nicht mehr, oder nur noch zu einem kleinen Teil exportieren. Die Exportkapazität ist in der nachfolgenden Grafik rot dargestellt, sie würde gemäss Studie um 60 Prozent abnehmen. Ähnlich würde es bei den Stromimporten aussehen und ein Minus an Grenzkapazität von knapp 70 Prozent resultieren. Eine solch signifikante Reduktion der Kapazitäten an der Grenze wäre sowohl für den sicheren Betrieb des Übertragungsnetzes als auch für die Versorgungssicherheit mit Strom eine grosse Herausforderung.