Strom scheint nicht länger wie selbstverständlich zur Verfügung zu stehen. Es braucht Verhaltensänderungen, um nachhaltiger mit dieser Ressource umzugehen. Ein Gespräch mit Dr. Christian Berger, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Organisation und Personal der Universität Bern.


Herr Berger, wer oder was ist der innere Schweinehund?

Der innere Schweinehund ist eine alltagssprachliche Metapher für die Willensschwäche. Ihm zugrunde liegt immer ein Konflikt zwischen kurzfristigen und langfristigen Zielen. Der innere Schweinehund versucht uns zu überzeugen, die kurzfristigen Ziele zu verfolgen und die langfristigen ausser Acht zu lassen. Er ist in vielen Lebensbereichen relevant, etwa bei Konsum- oder Sparentscheidungen oder bei der Frage, ob ich meine tägliche Joggingrunde absolviere oder stattdessen auf dem Sofa entspanne. Auch beim Klimaschutz geht es um einen solchen Zielkonflikt: Wie können wir die kurzfristigen ökonomischen und sozialen Entwicklungen vorantreiben und gleichzeitig innerhalb der Grenzen unseres Planeten leben mit einem stabilen Klima und einer integren Biosphäre?

Warum handeln wir – trotz besseren Wissens – nicht immer optimal?

Die Frage ist schwierig. Was genau bedeutet «optimal»? Optimalität setzt stabile Präferenzen voraus, aber diese können sich ändern. Nur weil wir als Kind Fleisch mochten, heisst das nicht, dass wir uns später nicht vegetarisch ernähren können. Sprechen wir über das Verhalten rund um den Klimawandel, können wir ganz klar sagen, dass die Menschheit nicht im Einklang mit dem Ziel lebt, die planetaren Grenzen zu schützen. Unser westlicher Lebensstil bedroht ein stabiles Klima und die Biodiversität. Warum wir so handeln? Darauf gibt es viele Antworten. Ein wichtiger Faktor liegt in den sogenannten Lock-in-Effekten. Diese erschweren – zum Beispiel aufgrund der Rahmenbedingungen, der gegebenen Infrastruktur oder der Anreize – eine Verhaltensänderung. Wer beispielsweise auf dem Land wohnt, ist häufig auf das Auto als Transportmittel angewiesen. Und solange Flugreisen günstiger sind als Zugfahren, verwundert es nicht, dass die Leute fliegen.

Dr. Sebastian Berger, Universität Bern
Dr. Sebastian Berger, Universität Bern

Wie entsteht Verhalten überhaupt?

Verhalten zu verstehen, ist ein komplexes Unterfangen. Es ist auf der einen Seite geprägt von einem individuellen «Innenleben» mit Präferenzen, Wünschen und Zielen. Auf der anderen Seite wirkt die externe Welt auf uns ein, etwa durch finanzielle Anreize, gesellschaftliche Normen und Regeln, aber auch durch die Entscheidungsarchitektur. Bei letzterem geht es um die bewusste Gestaltung und Darstellung von Wahlmöglichkeiten mit dem Ziel, eine gewünschte Entscheidung zu bewirken. Solche Architekturen finden sich überall: die Fliege im Pissoir, Standardeinstellungen bei Apps und Software oder die Tatsache, dass Bankomaten erst die Karte zurückgeben, bevor man das Geld bekommt. Wissenschaftlich und praktisch ist es schwierig, Verhalten zu analysieren, weil sich «Innenleben» und externe Welt mitunter gegenseitig beeinflussen. Anreize und Normen können unsere Präferenzen beeinflussen. Und über politische Entscheidungen führen diese Präferenzen dann zu neuen Anreizen und Normen.

Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die Kampagne des Bundesrats zum Stromsparen ein?

Der Grund für den Aufruf zum Stromsparen waren enorme Risiken in Bezug auf die Energiesicherheit in der Schweiz und in Europa. Informationskampagnen wie die zum Stromsparen des Bundesrats sind ein wichtiges Element, um Befürchtungen auf der Nachfrageseite zu beruhigen. Der Wert dieser Kampagne ist also sicherlich hoch, aber man muss sich bewusst sein, dass die Kampagne zuerst auf die Einstellung und die Motivation der Leute wirkt und nicht unbedingt auf deren Verhalten. Niemand im Bundesrat würde jedoch annehmen, dass ein Appell zum Stromsparen die einzige Antwort auf eine solche Krise ist.

Wie kann man Menschen dazu motivieren, effizienter und sparsamer mit Strom umzugehen?

Strom war in der Vergangenheit schlicht zu günstig, als dass die Leute sich vertieft damit beschäftigen mussten, wie sie diesen einsparen können. Das Augenmerk lag eher auf technologischen Lösungen, wie beispielsweise auf energieeffizienten Haushaltsgeräten. Dies ändert sich nun. Dabei sind Preissignale das vermutlich stärkste Argument, um Leute zum Stromsparen zu motivieren. Der Zugang zu ausreichend Energie ist jedoch Teil der Daseinsfürsorge. Daher können teils sehr hohe Preise aus sozialen Gründen nicht einfach an die Endverbraucherinnen und Endverbraucher weitergegeben werden. Die Verhaltenswissenschaften versuchen, die Stromnachfrage auch ohne Preissignale zu senken. Momentan laufen viele Studien mit Energieversorgern. Zu den Massnahmen zählen, gemeinschaftliche Ziele auf Ebene der Gemeinde oder des Quartiers zu vereinbaren. Oder es werden soziale Normen kommuniziert. Viele Menschen können schlichtweg nicht einschätzen, wie viel Strom sie im Vergleich zu anderen verbrauchen.

Viele Menschen können schlichtweg nicht einschätzen, wie viel Strom sie im Vergleich zu anderen verbrauchen.

Dr. Sebastian Berger

Dafür müssten aber entsprechende Daten zur Verfügung stehen…

Genau, und das ist häufig ein Problem. Die Energieversorgung ist keine datenzentrierte Branche wie zum Beispiel der Onlinehandel. Viele Anbieter kennen nur eine Zählernummer und vielleicht noch die E-Mail-Adresse ihrer Kundinnen und Kunden. Damit man Verhaltensinterventionen gezielt durchführen kann, uss man die Konsumenten besser verstehen und ihren Verbrauch genauer kennen. Eine Möglichkeit sind Smart Meter, aber auch damit stellen sich Herausforderungen, zum Beispiel in Sachen Datenschutz. Dennoch bin ich überzeugt, dass datenbasierte Analysen künftig noch wichtiger werden, da die Energiesysteme dezentraler, digitaler, und variabler in Bezug auf die Bepreisung werden. Das ist ohne entsprechende Technologie unmöglich.

Wie lassen sich freiwillige Verhaltensänderungen beim Stromsparen bewirken?

In der Verhaltensökonomie spricht man von Nudging, wenn man Menschen subtil in eine bestimmte Richtung bewegen möchte. Persönlich bevorzuge ich allerdings den Begriff der Verhaltensarchitektur. Bei der Verhaltensarchitektur geht es darum, unser Umfeld bewusst so zu gestalten, dass wir die gewünschten Ziele erreichen. Es verspricht eine Verhaltensänderung, ohne dafür an der Preisschraube

zu drehen, also ohne finanzielle Anreize zu schaffen. Es geht um nicht-monetäre Anreize wie etwa den Vergleich mit anderen Personen beim Stromsparen. Kürzlich analysierte der Weltklimarat, welchen Beitrag die Verhaltensarchitektur beim Klimaschutz und Stromsparen spielen kann. Es zeigte sich, dass Verhaltensinterventionen einen Beitrag leisten, sofern sie zusammen mit Preissignalen zum Einsatz kommen. Nudging funktioniert also, aber der Teufel steckt wie so oft im Detail. Daher rufen wir auch immer nach Plattformen, in denen Wissenschaftlerinnen mit gesellschaftlichen Akteuren gemeinsame Lösungen schaffen. Aus dem Elfenbeinturm heraus alleine kann man keine Lösungen schaffen. Dafür ist das Wissen, dass etwa Energieversorger haben, viel zu wertvoll und zu relevant.


Wieviel Strom verbraucht Ihr Haushalt?

Stromlieferanten haben keinen Einheitspreis, sondern machen ihre Tarife vom Zeitpunkt des Stromkonsums (Tag, Nacht, Wochentag, Saison) und der Menge des Stromkonsums (Verbrauchsprofil) abhängig.

5 Verbrauchsprofile typischer Haushalte (in kWh/Jahr): H1: 2-Zimmerwohnung mit Elektroherd, H2: 4-Zimmerwohnung mit Elektroherd, H3: 4-Zimmerwohnung mit Elektroherd und Elektroboiler, H4: 5-Zimmerwohnung mit Elektroherd und Tumbler (ohne Elektroboiler), H5: 5-Zimmer-Einfamilienhaus mit Elektroherd, Elektroboiler und Tumbler Quelle: https://www.strompreis.elcom.admin.ch/

Wären verbindliche Vorgaben zum Stromsparen zielführender?

Grundsätzlich gilt: Verbindlich ist besser als nicht verbindlich und strikte Vorgaben sind besser als Appelle. Gleichzeitig ist die Entscheidungsfreiheit ein zentraler Wert in unserer Gesellschaft, den wir verteidigen. Einzelnen Akteurinnen und Akteuren Vorgaben zu machen, wäre ebenfalls schwierig. Der Staat weiss nicht, wo Strom am effizientesten eingespart werden kann. Holprig würde es auch bei der Umsetzung. Um Tarifmodelle, wie zum Beispiel eine zeitabhängige Bepreisung, zu realisieren, bräuchte es eine flächendeckende Infrastruktur. Eine alternative Lösung böte die aktivere Gestaltung der Energiemärkte. Es geht um die Frage, wie sich die ökonomische Freiheit wahren lässt und gleichzeitig Einsparziele realisiert werden können. Wenn wir die Märkte clever gestalten, mit Anreizen, aber auch mit verhaltenswissenschaftlichen Interventionen, glaube ich persönlich, dass wir ohne Zwang erfolgreich agieren können. Märkte funktionieren, wenn man sie richtig gestaltet.

Zurück zum inneren Schweinehund: Wie motivieren Sie sich, wenn er sich meldet?

Auf zweierlei Weise. Zum einen versuche ich, gar nicht erst in Versuchung zu geraten. Das gelingt mir etwa, indem ich Ungesundes im Supermarktregal einfach liegen lasse, damit ich es nicht zu Hause habe. Gleichzeitig mache ich gute Erfahrungen damit, wenn ich mir gute Gewohnheiten aufbaue. Denn wenn man etwas aus Routine macht, traut sich der innere Schweinehund gar nicht erst heraus. Zum anderen hilft mir meine Ehefrau, meine Ziele zu erreichen. Die Forschung zeigt, dass soziale Unterstützung uns bei der Zielerreichung immens hilft. Gegen zwei hat der innere Schweinehund weniger Chancen.



Autorin

Silvia Zuber
Silvia Zuber

Senior Communication Manager


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