Der Stromverbrauch in der Schweiz steigt. Für eine Trendwende sind energieeffizientere Technologien allein nicht ausreichend. Es braucht Vorbilder, Anreize und ein Umdenken. Ein Gespräch mit Christian Schaffner, Direktor des Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich, über die Energiezukunft der Schweiz.


Strom ist aus dem täglichen Leben nicht wegzudenken. Wo benötigen Sie am meisten Strom?
Ich wohne mit meiner Familie in einer Mietwohnung, insofern fällt bei uns der grösste Stromverbrauch beim Kochen und Waschen an. Da das Gebäude mit Fernwärme und nicht mit einer Wärmepumpe geheizt wird, ist der diesbezügliche Verbrauch vergleichsweise tief. Was die Mobilität betrifft, so benutze ich ab und zu ein Elektromobil, auch wenn es nicht mein eigenes ist, und oft den Zug.

Wo steht die Schweiz beim durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch von Elektrizität?
Die Schweiz steht beim durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch von Elektrizität europaweit im Mittelfeld. Einerseits haben wir nicht einen so hohen Stromverbrauch wie zum Beispiel Norwegen, wo fast ausschliesslich mit elektrischem Strom geheizt wird. Andererseits haben wir aber einen höheren Stromverbrauch als südliche Länder wie zum Beispiel Italien oder Spanien. Auf die ganze Welt bezogen, sind wir, wenig überraschend, pro Kopf gesehen ein grosser Stromverbraucher. Der Pro-Kopf-Wert ist ein Durchschnittswert.

Wer sind die Hauptverbraucher in der Schweiz?
Schaut man sich die Hauptverbraucher im Detail an, sind da auf der einen Seite die Haushalte mit Waschen, Kochen, Heizen sowie Warmwasserbereitstellung. Auf der anderen Seite steht die Industrie, die mit der Prozessenergie – zum Beispiel Antriebe und Automatisierung – und zum Teil auch mit der Wärmeaufbereitung ein grosser Bezüger ist, sowie die Dienstleistungen. Weiter zu erwähnen sind die Landwirtschaft und der öffentliche Verkehr, wobei diese eher einen kleinen Anteil ausmachen.

Die Schweiz steht beim durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch von Elektrizität europaweit im Mittelfeld.

 

Dr. Christian Schaffner, Direktor des Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich

Wie wird sich der Elektrizitätsverbrauch verändern?
In Zukunft wird der Stromverbrauch aufgrund der Dekarbonisierung, also der Abkehr von fossilen Energieträgern, zunehmen. Die starken Treiber sind hier die Elektromobilität und die Elektrifizierung der Wärmebereitstellung, insbesondere die Wärmepumpen. Dadurch kann sehr viel fossile Energie gespart werden, sodass insgesamt weniger Energie gebraucht wird, dafür aber mehr Strom. Der Trend zeigt dabei klar in die Richtung, dass die Haushalte und der Verkehr stärker und schneller elektrifiziert werden als die Industrie.

Was sind die Gründe hierfür?
In beiden Bereichen gibt es klare Effizienzsteigerungen, zum Beispiel bei der Beleuchtung dank LED oder bei den Kühlschränken. Auch bei den industriellen Prozessen wird sehr viel gemacht, damit weniger Strom für den gleichen Output und die gleiche Dienstleistung erforderlich ist. Dennoch ist durch die Elektromobilität und die Wärmepumpen schon jetzt eine Zunahme zu verzeichnen, sodass der Stromverbrauch – gerade auch durch die Haushalte – in der Schweiz in der Summe eher zunehmen wird.

Was heisst das für die Energiewende? Ist die Schweiz auf Kurs?
Bei der Energiestrategie 2050 des Bundes sehen wir insgesamt eine signifikante Reduktion des Energieverbrauchs in der Schweiz. Diese Reduktion wird insbesondere durch effizientere Technologien erreicht. Da ist einerseits der Elektromotor, der sehr viel effizienter als der Verbrennungsmotor ist und andererseits die Wärmepumpe im Gebäudebereich. Eine Wärmepumpe kann mit einer Einheit Strom ein Mehrfaches an Wärme produzieren als herkömmliche Heizungen. Wie bereits erwähnt, heisst das mit anderen Worten, dass wir weniger Energie brauchen werden, dafür aber mehr Strom.

Bringt sich die Schweiz damit nicht in eine noch stärkere Abhängigkeit vom Ausland?
Wenn man den Gesamtenergiebereich anschaut, sind wir heute sehr stark vom Ausland abhängig. Schliesslich werden alle fossilen Energieträger aus dem Ausland importiert. Was den Strom betrifft, so sind die Produktion und der Konsum über das Jahr ungefähr auf gleichem Niveau. Schon heute haben wir aber einen intensiven Austausch mit dem Ausland – im Winter importieren wir grosse Mengen Strom, während wir im Sommer exportieren. Wenn wir weniger fossile Energieträger importieren, haben wir insgesamt eine weniger grosse Abhängigkeit vom Ausland. Dennoch ist es auch bei einer verstärkten Gewichtung auf Strom zentral, dass wir gute Beziehungen mit den umliegenden Ländern pflegen.

Bei der Energiestrategie 2050 des Bundes sehen wir insgesamt eine signifikante Reduktion des Energieverbrauchs in der Schweiz.

 

Was kann getan werden, um den Stromverbrauch zu senken?
Es ist sehr wichtig, dass wir überall dort, wo wir Strom verbrauchen, auf die Effizienz schauen. Im Bereich der Haushalte kann dies zum Teil mithilfe neuer Technologien erreicht werden. Bei der Industrie müssen wir sehr genau auf die Prozesse schauen, denn dort liegt nach wie vor ein grosses Optimierungspotenzial. Eine wichtige Unterscheidung ist zudem, dass es beim Strom nicht nur um die Menge, sondern auch um die Leistung geht, die zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar ist. So sollten zum Beispiel nicht alle Elektroautos um die gleiche Zeit geladen, sondern die Ladezeiten möglichst intelligent verteilt werden. Das entspricht dem Prinzip der Smart Grids. Eine weitere wichtige Massnahme ist das bidirektionale Laden. Das heisst, dass die Batterien und die Energie der Elektromobile kurzfristig genutzt werden, damit das Stromsystem stabiler bleibt.

Welche Anreize braucht der Mensch, um den Stromverbrauch tatsächlich zu senken?
Im Bereich der Industrie sind Vorbildfunktionen wichtig, um zu zeigen, was überhaupt möglich ist. Generell gibt es einen immer grösseren Druck in der Industrie, CO₂-neutral zu werden und darauf zu achten, welche Art von Strom gebraucht wird. Im privaten Bereich sind die Anreize zum Stromsparen fast immer an gewisse Vorschriften gekoppelt wie zum Beispiel Effizienzvorschriften oder Verbote von Glühbirnen, da diese einen weitaus grösseren Effekt haben als der Preis.

Könnte die Senkung des Verbrauchs nicht ein grösserer Hebel als der Ausbau von Produktionskapazitäten sein, um die Herausforderungen der Energiewende zu meistern?
Schlussendlich ist alles notwendig. Das heisst, wir müssen mehr erneuerbaren Strom produzieren, um den erhöhten Bedarf abzudecken. Gleichzeitig müssen wir die Effizienz steigern wo immer möglich. Ein weiterer wichtiger Faktor, über den heute noch wenig gesprochen wird, ist die Energiesuffizienz. Das heisst, dass wir uns überlegen, wie viel Mobilität wir brauchen und ob es Möglichkeiten gibt, diese zu senken. Oder inwiefern wir auch im Wärmebereich Anstrengungen hin zu einer Senkung unternehmen können. Auch bei der Raumplanung spielt die Suffizienz eine wichtige Rolle – wie organisieren wir unsere Städte, Dörfer und Landschaften? Planen wir diese so, dass wir weniger Transportwege brauchen, weniger beheizte Flächen?

Welche Rolle wird Technologie bei der Senkung des Stromverbrauchs spielen?
Es gibt ganz viele Entwicklungen in diesem Bereich, aber es ist sehr selten, dass Technologien auftauchen, die innert weniger Jahre eine Mehrheit der Probleme lösen können. Es gibt aber Kipppunkte, so wie dies derzeit bei der Elektromobilität der Fall ist. Mittlerweile sind die Elektromotoren in etwa gleich teuer wie die Verbrennungsmotoren. In ein paar Jahren wird sich das Momentum noch stärker zu den Elektromotoren hin verschieben, womit ein weiterer grosser Hebel entsteht. Zentral ist, dass es auch weiterhin intelligente Regulierungen braucht, damit neue Technologien ermöglicht werden können. Dort besteht sicher noch einiger Handlungsbedarf. Mehr Verbrauch bedeutet mehr Strom, der zu den Verbrauchern transportiert werden muss.

Schaffen die heutigen Stromnetze dies?
Die Stromnetze in der Schweiz sind auf einem sehr hohen Niveau und auch international sehr gut angebunden. Das Übertragungsnetz ist sehr gut ausgebaut, und im Verteilnetz sind wir insbesondere im städtischen Bereich komfortabel ausgerüstet. Wenn man aber in die Zukunft schaut, gibt es auf allen Ebenen neuralgische Punkte. Beim Übertragungsnetz gibt es einige Knotenpunkte, Transformatoren und Leitungen, die heute bereits an der Kapazitätsgrenze sind und ausgebaut werden sollten. Vergessen wir nicht, dass neben dem Transport auch die intelligente Verteilung des Stroms eine wichtige Rolle spielt und es diesbezüglich noch viele offene Fragen gibt. Sicher ist, dass der bidirektionale Austausch auch zwischen Übertragungs- und Verteilnetzen und die dazugehörige Kommunikation weiter ausgebaut und intensiviert werden müssen.

Es ist sehr selten, dass Technologien auftauchen, die innert weniger Jahre eine Mehrheit der Probleme lösen können.

 


Autorin

Silvia Zuber
Silvia Zuber

Project Manager


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