
Nach rund vier Jahren intensiver Projektarbeit liegt sie vor – die aktualisierte Mehrjahresplanung für den Ausbau des Schweizer Übertragungsnetzes. Mittels Simulationen und Analysen haben die Fachleute von Swissgrid 31 wesentliche Netzausbauprojekte identifiziert, um das Übertragungsnetz für die künftigen Anforderungen fit zu machen. Der Projektverantwortliche Marc Vogel bewertet die Ergebnisse.
Die Planungsphase für das Netz der Zukunft ist abgeschlossen. Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse?
Marc Vogel: Die Aktualisierung des Netzentwicklungsbedarfs bestätigt unsere bereits initiierten Netzprojekte. Ihre rasche Umsetzung hat weiterhin höchste Priorität. Unsere Simulationen und Analysen zeigen: Eine Herausforderung fürs Übertragungsnetz – oder genauer: für den jeweiligen Anschlusspunkt – stellen vor allem neue Kraftwerke, Speicher und Verbraucher mit einer Anschlussleistung von mehreren Hundert Megawatt dar, zum Beispiel grosse Rechenzentren und Batteriespeicher. Hingegen ist das Übertragungsnetz von Swissgrid sehr robust aufgestellt für die zusätzlichen Anforderungen durch den dezentralen Ausbau der Photovoltaik und der Elektromobilität. Die weiträumige Verteilung von grossen Windparks, Solaranlagen, Verbrauchszentren und Speichern in Europa erfordert die Verstärkung des Übertragungsnetzes. Eine weitere Erkenntnis: Das Netz sollte ganzheitlich und koordiniert über mehrere Spannungsebenen weiterentwickelt, betrieben und instandgehalten werden.
Was heisst das konkret?
Wenn die Infrastrukturen verschiedener Betreiber – unter anderem von Swissgrid, den Verteilnetzbetreibern und der SBB – gebündelt werden, hat dies mehrere Vorteile. Damit wird etwa die Landschaft entlastet und die Versorgungssicherheit erhöht, indem die parallelen Systeme der Netzbetreiber auf verschiedene Trassees aufgeteilt werden. Deshalb initiiert Swissgrid immer mehr regionale Netzkoordinationen und Netzstudien, um gemeinsam optimale Lösungen für das Stromnetz der Zukunft zu entwickeln.
Die weiträumige Verteilung von grossen Windparks, Solaranlagen, Verbrauchszentren und Speichern in Europa erfordert die Verstärkung des Übertragungsnetzes.
Marc Vogel
Welche Netzprojekte beim Übertragungsnetz sind für das Netz der Zukunft von besonderer Bedeutung?
Erstens die Netzprojekte, um die Nord-Süd-Achse zu stärken. Dies erfolgt über den Netzausbau von Deutschland (Tiengen) über die Zentralschweiz ins Tessin (Magadino). Zweitens sind jene Netzprojekte von besonderer Bedeutung, mit denen wir die Verbindungen zwischen den grossen Produktionsanlagen in den Alpen und den Verbrauchszentren im Mittelland verbessern. Dazu gehört unter anderem die Leitung Bickigen – Mettlen, welche über den Gemmipass führt und den Grossraum Bern mit dem Wallis verbindet. Ebenfalls von strategischer Wichtigkeit sind drittens die Projekte, die das Tessin besser an die übrigen Gebiete der Schweiz anbinden und gleichzeitig die Ost-West-Transportkapazitäten stärken. Das erreichen wir mit dem Ausbau der Leitungen zwischen dem Wallis und dem Tessin über den Nufenenpass. Nicht zuletzt bringen die 21 neuen, über die ganze Schweiz verteilten regelbaren Transformatoren einen grossen Fortschritt: Sie verbessern die Steuerbarkeit des Netzes.
Was bewirken diese regelbaren Transformatoren im Stromsystem?
Strom nimmt stets den Weg des geringsten Widerstands. Die Leitung mit dem niedrigsten Widerstand ist zuerst voll belastet und wird dann zum Engpass für das Gesamtsystem: Selbst wenn parallele Leitungen noch freie Kapazitäten haben, lässt sich nicht mehr Strom transportieren. Regelbare Transformatoren verändern den Widerstand der angeschlossenen Leitungen. Sie verteilen die Stromflüsse gleichmässiger und steigern damit die Transportkapazität des Gesamtsystems.
Nicht zuletzt bringen die 21 neuen, über die ganze Schweiz verteilten regelbaren Transformatoren einen grossen Fortschritt: Sie verbessern die Steuerbarkeit des Netzes.
Marc Vogel
Wie geht der Entwicklungsprozess für das Netz der Zukunft weiter?
Swissgrid bespricht den ermittelten und (durch den Regulator ElCom) bestätigten Netzentwicklungsbedarf mit den Betreibern angrenzender Netze. Dadurch lassen sich Synergien nutzen und eine ideale gemeinsame Netztopologie ermitteln. Als nächste Schritte folgen die Projektierung sowie das Genehmigungsverfahren und nach dessen erfolgreichem Abschluss die Realisierung. Dieser gesamte Prozess dauert derzeit pro Netzprojekt durchschnittlich 15 Jahre – wie lange genau, hängt von den Einsprachen ab. Um deren Zahl und damit die Verfahrensdauer zu senken, braucht es den politischen und gesellschaftlichen Willen aller Beteiligten. Denn eines ist klar: Der Netzausbau muss schneller gehen.
Auf europäischer Ebene entsteht das sogenannte Supergrid, um grosse Strommengen über weite Distanzen zu übertragen. Wie bringt sich die Schweiz bei diesem Vorhaben ein?
Swissgrid hat zusammen mit einem deutschen und dem italienischen Übertragungsnetzbetreiber eine Netzstudie gestartet. Diese analysiert, wie und mit welcher Kapazität die Schweiz in das geplante zusätzliche Gleichstrom-Hochleistungsnetz integriert werden kann. Eine solche Einbindung verspricht eine Win-win-Situation. Denn die Schweiz verfügt über flexible Pumpspeicherkraftwerke. In Deutschland und Italien wiederum stehen grosse Solar- und Windenergieanlagen, deren Produktion stark schwankt. Da drängt sich eine Zusammenarbeit geradezu auf.